Gespür für Balance - ein Text zu den Keramiken von Ulrich Schumann


Schon bei der ersten Annäherung an die keramischen Objekte von Ulrich Schumann werden zwei maßgebliche Aspekte augenfällig: zum einen, die große, raumerobernde Form, ob als verdrehte Säule oder als stilisierter Torso und zum anderen, die fein strukturierte, grafisch rhythmisierte Oberfläche der Figuren.

Diese beiden Grundelemente der schumannschen Keramik: die Form und die Zeichnung, scheinen eine gestalterische Ehe eingegangen zu sein. Eine Ehe mit idealen Zügen: beide existieren unabhängig voneinander, sind jedoch ohne den jeweils anderen bzw. die andere nicht oder nur schwer vorstellbar. Glatt weiß glasiert würden die Objekte ihr visuelles Ereignis einbüßen, sie wären um ihre Würze, ihren Witz, ihren Kontrapunkt gebracht.

Das grafische „ all over “ kann die große, plastische Form unterstützen, ein Effekt, der bei Holzskulpturen durch die Maserungen der so genannten Jahresringe hervorgerufen wird, kann sie aber auch in Frage stellen, durch einen unlogischen, formunabhängigen Duktus. In jedem Fall aber, macht die Grafik die Form erlebbar, weil lesbar. So wird es möglich, den Formen auf Pfaden zu folgen, ihre Täler und Berge auf einem Bodenmosaik zu durchschreiten. Der Form – Raum - Situation wird dadurch das Element Zeit hinzugefügt. Ein Sekundentakt, der das Vergehen fühlbar macht, wie ein Metronom die Stille mit Zeit erfüllt, so liefert uns das feinmaschige Netz die Möglichkeit, die keramischen Körper mit dem Auge zu erwandern.

Mit diesem Konzept der beiden Gegenspieler, schafft sich Schumann einen künstlerischen Baukasten der beliebig modifiziert, variiert und weiterentwickelt werden kann. Durch sein sicheres Gespür für Balance stellt er sehr vitalen, sehr plastischen Körpern destabilisierende, die Form nicht unterstützende Strukturen gegenüber, als ein Regulativ - als wolle er deren Übermut verhindern ( „Das Paar mit Hieroglyphen„ oder auch „Verdrehte Säule I„) und umgekehrt, verleiht er einer ehr unsicheren, vagen Form durch ein kräftiges Schwarzweiß-Stakkato Halt und Charakter („Säule I„). Am Beginn aber steht die Entwurfs-, die Kreativphase: das Modellieren, das Ringen um die präzise Form, das Tasten und Verwerfen, das zaghaften Bauen und Wiederzerstören von Misslungenem, hierbei muss dem Chaos Raum gelassen werden. Der künstlerische Geburtsvorgang verläuft unlogisch, unstrukturiert, frei, er kennt keine Routine.

„ Ich nehme die Position eines Betrachters ein, der auswählt und verwirft, was in meinen Händen entsteht... „

Das Paar am See - U. Schumann


Ob Stele, Torso, Spirale, die Technologie zur Herstellung von Keramik verlangt eine genaue Planung und eine sorgsame, kenntnisreiche Ausführung.Biomorphe, technoide und vegetative Formen variieren, bilden Kombinationen, verselbständigen sich zu funktionell rätselhaften, maschinenartigen Teilen („Spirale II„ und „2. Entwurfszeichnung„), wobei mir eine Tendenz zur Zeichenhaftigkeit signifikant erscheint. Assoziative Verweise in das Stammeskulturelle wären ebenso denkbar („Säule III„).



Die vielen Quellen, die das Formenreservoir füllen aus dem die Künstler seit Erfindung des Abstrakten sich bedienen, sind hinlänglich bekannt: Skeletteile, Steinformen, die Kunst der Naturvölker ebenso wie moderne Mikro- und Makrofotografie. Ulrich Schumann verweist im Gespräch auf inspirierende Naturerlebnisse:

„... durch eruptive Bewegungen der Erde entstandene und unter dem Einfluss von Hitze und Kälte, Wind und Wetter gealterte Felsmassive oder auch die aus dem Erdmantel herausgeschobenen Faltengebirge haben für mich eine ungeheuere Faszination, vor allem eben die Ablesbarkeit der Krafteinwirkung, dieser unglaublichen Kräfte ... davon würde ich gern etwas in meine Keramiken übertragen..., auch weil sie uns an unsere eigene, natürliche Stärke erinnern.“

Vergleichbar mit den lediglich vierundzwanzig Buchstaben des Alphabetes, die immer neue Bücher und Texte ermöglichen ohne Gefahr zu laufen, Wiederholungen zu produzieren, verwendet er den klassischen Formenkanon, um daraus seine subjektiven Versionen und Spielarten, ausgestattet mit handwerklicher Brillanz, als etwas Neues, Ungesehenes zu entwickeln.

Durch Ineinanderpressen meist schwarz/weißer Tone entstehen intarsienartige Platten, die nicht, wie eine zweite Haut über den keramischen Körper gezogen werden, sondern, da er Gips-Negativ-Formen mit ebendiesen Platten auslegt, bildet die strukturierte Tonschicht die eigentliche Haut, die substantielle Wandung des Objektes.

Diese technologische Raffinesse verleiht Schumanns Objekten den unverwechselbaren Charakter, die eigene Handschrift und seine Arbeiten bekommen dadurch einen hohen Wiedererkennungswert. Auch umschifft er mit sicherem Instinkt die Untiefen des Metiers, gemeint sind zum einen, die geschmäcklerischen Süßlichkeiten und zum anderen, die emotionale Überbeanspruchung durch Esoterisierung.

Jedenfalls darf man gespannt sein, wie sich Schumanns vitaler Zugriff auf Kunst und Handwerk zukünftig, in neuen Objekten manifestiert.

Thomas K. Müller
Okt. 2009

*Bei den kursiv geschriebenen Passagen, handelt es sich um Originalzitate von Ulrich Schumann.